DEUTSCHE SPRACHE
Für die Handelnden der Sozialen Arbeit zeigt sich im schulischen Kontext immer wieder, dass die deutsche Sprache eine elementare Voraussetzung bildet, um das deutsche Bildungssystem erfolgreich zu absolvieren. Gerade auch die PISA-Studie zeigte, dass Migrantinnen und Migranten relativ schlechte Kompetenzen in der Unterrichtssprache aufwiesen. Dieser Befund kristallisierte sich sogar bei Schülerinnen und Schülern heraus, die ihre ganze Schullaufbahn in Deutschland durchlaufen haben (vgl. Gantefort 2013, 72).
Diefenbach stellt in Folge dieser PISA-Erkenntnisse die Frage, warum in der Grundschule nicht die sprachliche Förderung fortgesetzt werden kann, die im Kindergarten begonnen worden ist (vgl. Diefenbach 2008, 141). Besonders problematisch wird die Situation, wenn Prüfungsleistungen benotet werden, um eine geeignete Schullaufbahnempfehlung aussprechen zu können. Wenn Schüler nur über eine mangelnde fachsprachliche Kompetenz verfügen, dann verhalten sie sich im Unterricht in der Regel passiv, was zu schlechten Noten auch im schriftlichen Bereich führt (vgl. Müller 2009, 95).
Eine Verinnerlichung des Unterrichtsstoffes ist dementsprechend nicht möglich, wenn Schüler die Sprache nicht beherrschen, in der dieser Unterricht stattfindet. Eigene Standpunkte oder Fragen zum Unterrichtsgeschehen können nicht artikuliert werden. Somit ist eine Gelingensbedingung und gleichzeitig Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Übergang das Beherrschen der Unterrichtssprache (vgl. Kimmelmann 2012, 193).
ZWEITSPRACHE DEUTSCH
Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der Sozialen Arbeit danach zu fragen, wie mit Schülern umzugehen ist, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Kommen Migrantinnen und Migranten während der Schulzeit nach Deutschland, wird zunächst ihr Sprachstand ermittelt. Können diese dem regulären Unterricht aufgrund von Sprachdefiziten nicht folgen, stehen ihnen besondere Fördermaßnahmen zu. Einerseits können sie in Sprachlernklassen unterrichtet werden, andererseits stehen diese nicht an jeder Schule zur Verfügung, da sie eine Teilnehmeranzahl von mindestens zehn Kindern erfordern. In diesen Fällen erhalten die Lernenden gesonderten Unterricht in Deutsch als Zeitsprache-Kursen, in Förderkursen oder anderen Kursmodellen. Die Stundenanzahl der jeweiligen Förderung ist abhängig von dem Kursmodell. Eine Benotung erfolgt erst dann, wenn die Lernenden in der Lage sind, sprachliche Defizite so weit auszugleichen, dass sie dem Unterricht in der deutschen Sprache folgen können.
Für diese Entwicklung haben die Kinder je nach Bundesland mehrere Schuljahre Zeit. Es gibt auch die Regelung, dass Migrantinnen und Migranten ein oder zwei Schuljahre tiefer eingeschult werden, damit sie in diesen zwei Schuljahren die Möglichkeit haben, Sprachkenntnisse aufzubauen (vgl. Gresch 2012, 56). Doch Sprachförderung kann nur unter bestimmten Bedingungen zu einer erfolgreichen Bildungskarriere verhelfen. Zunächst muss eine konkrete Sprachdiagnostik durchgeführt werden, die den individuellen Kenntnisstand des Kindes beurteilen kann. Das deutsche Jugendinstitut fand heraus, dass dieses oftmals nur mangelhaft geschieht. Eine Sprachdiagnostik sollte mit geeigneten diagnostischen Instrumenten einhergehen. Die Förderungsmaßnahmen müssen an diese Methoden anschließen. Geschieht dies nicht, kann ein Kind nicht optimal gefördert werden (vgl. Dietz und Lisker 2008, 27).
DAZ UND DAF
Auch zentral sind die zum Teil von der Sozialen Arbeit mitzugestaltenden Bedingungen, unter welchen die Sprachförderung stattfindet. Nachhaltiger Unterricht, zu dem auch die Soziale Arbeit ihren Beitrag leisten kann, zeichnet sich durch „Klebe-Effekte“ aus. Dieser Effekt besagt, dass die deutsche Sprache dann deutlich besser verinnerlicht werden kann, wenn die Förderung mit Integrationsprozessen gekoppelt wird (vgl. Günther 2011, 98).
Diese Überzeugung findet auch Anklang in dem Bereich des DaZ-Unterrichts. Dieser unterscheidet sich vom weit verbreiteten DaF-Unterricht. DaF-Unterricht findet oftmals unter der Prämisse statt, dass die unterrichtete Sprache nicht der Gesellschaftssprache entspricht. Ein Beispiel ist der Englischunterricht in Deutschland. DaZ-Unterricht geht jedoch davon aus, dass die unterrichtete Sprache einen wichtigen Teil der Gesellschaft darstellt und von dieser in alltäglichen Situationen genutzt wird. DaZ-Förderung richtet sich demnach an Personen, die zuhause kaum/kein Deutsch sprechen (vgl. Degener 2010, 11). Folglich kann dieser Unterricht nur erfolgreich sein, wenn er direkt an Interaktion und Integration gekoppelt ist.
Derzeit ist klar, dass sich in den letzten Jahren vermehrt Sprachangebote an den Schulen entwickelt haben, inwieweit diese jedoch Wirkung und Erfolg zeigen, ist noch nicht weitreichend evaluiert (vgl. Autorengruppe Bildungsbericht 2020, 8). Aber wie erfolgreich kann ein Förderunterricht in einem monolinguistisch ausgerichteten Schulsystem sein?
Insbesondere eine monolinguistische Auffassung von Sprachunterricht und Schule kann in diesem Kontext nicht förderlich sein. Trotzdem dominiert das deutsche Schulsystem durch seine monolinguistische Auffassung. Kinder profitieren davon, wenn nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die Muttersprache in Verbindung gefördert wird (vgl. Reich und Roth 2002).
MEHRSPRACHIGKEIT
Mehrsprachigkeit darf nicht als Defizit, sondern als Chance in einer globalen Gesellschaft angesehen werden. Generell muss ein gewinnbringender Unterricht sprachsensibel ausgerichtet sein. Denn wenn allochthone Kinder dem Unterricht aufgrund der Unterrichtssprache nicht folgen können, lernen sie weder die deutsche Sprache, noch verinnerlichen sie vermittelte Inhalte. Kinder mit Migrationserfahrung, aber auch mit einem Migrationshintergrund, werden in einem solchen Unterricht stets mit ihren Defiziten konfrontiert, dass Entfaltungspotential ihrer Kompetenzen wird dramatisch eingeschränkt (vgl. Belke 2008, 87).
Dass mehrsprachig ausgerichtete Situationen gewinnbringend für den Unterricht sein können, zeigt sich aus den Erkenntnissen, dass eine gut ausgebildete Erstsprachkompetenz in positiver Weise mit dem Zweitspracherwerb korreliert (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011, 209).
Neben der schulischen Bildung, kann die Unterstützung der Familie in Bezug auf den Spracherwerb von besonderer Bedeutung sein. Niederländische Studien zum Sprachverhalten von Migrantinnen und Migranten haben herausgestellt, dass Kinder, die zuhause die Sprache des Einwanderungslandes sprechen, sprachliche Defizite in der Schule schneller ausgleichen können (vgl. Driessen u. a. 2002, 178). Hier ergibt sich auch ein wichtiger Ansatzpunkt für das Handeln der Sozialen Arbeit, die dazu aufgefordert ist, bei der Sprachförderung auch die Eltern der Kinder miteinzubeziehen.
Zusammenfassend zeigt sich, dass gerade unter Berücksichtigung der primären Herkunftseffekte, die Sprache als Grundvoraussetzung für Leistung darstellt (vgl. Baumert u. a. 2010, 98). Somit ist sie eine essenzielle Gelingensbedingung auch für einen erfolgreichen Übergang in das Sekundarschulsystem, die stark von der Qualität des Förderunterrichts und der Ausrichtung der Schule abhängig ist. Diese haben in der weiteren Bildungskarriere unter anderem Auswirkungen auf die Deutschnote, welche einer der ausdrucksstärksten Faktoren des Sekundarstufenübergangs darstellt.
OFFENHEIT
Dennoch zeigen aktuelle Schulleistungsergebnisse, dass gerade dieser Förderunterricht innerhalb des deutschen Schulsystems nicht ausreichend sein kann. Ein erster wichtiger Schritt wäre eine Abwendung von dem monolinguistisch ausgelegten Schulgedanken. Denn eine solche Einstellung kann nicht förderlich für das Erlernen einer Zweitsprache sein. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, wie wichtig ein Schulsystem als Ort der Offenheit, ohne Defizitorientierung ist. In dieser Hinsicht lohnt sich ein Blick in andere Schulsysteme, die Migrantinnen und Migranten erfolgreicher integrieren und gemeinsam mit ihnen erfolgreiche Bildungskarrieren schaffen. Dazu können Ergebnisse der PISA-Studie herangezogen werden. Denn dieses Studienformat vergleicht nicht nur Lesekompetenzen der Lernenden, sondern auch den Aufbau der jeweiligen Schulsysteme. So können erfolgreiche Bildungssysteme wie Finnland, Schweden oder Kanada als fortschrittlich und vorbildlich betrachtet werden (vgl. Fereidooni 2011, 67).
In Finnland und auch in Kanada ist der Heterogenitätsgedanke fest in den Lehrplan integriert. So gibt es neben dem Unterrichtsfach Finnisch oder Englisch beziehungsweise Französisch auch muttersprachlichen Unterricht. Diese Fächer werden als gleichrangig angesehen. Daher steht das Konzept des „funktionalen Bilingualismus“ im Mittelpunkt der sprachlichen Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund (Ackeren 2005, 22).
Dass dieses Konzept besonders wirksam für allochthone Lernende ist, zeigen die hohen Punkte der Lesekompetenztests. Bei diesen werden keine so deutlichen Unterschiede zwischen allochthonen und autochthonen Kindern festgestellt wie in Deutschland (vgl. Fereidooni 2011, 68).
Natürlich bedarf eine solche Veränderung auch finanzieller Mittel, denn der Unterricht in der Muttersprache stellt eine zusätzliche Kostenquelle dar.
FREMDSPRACHLICHE LEHRPERSONEN
Darüber hinaus ist auch die Frage nach fremdsprachlichem Lehrpersonal zu berücksichtigen. Wie Studien belegen, gibt es kaum Lehrkräfte mit Migrationshintergrund (Bräu et al. 2013, 48). Daraus lässt sich schließen, dass die sprachlichen Ressourcen der Lehrkräfte eher begrenzt sind. Doch muss der Unterricht unbedingt durch Lehrkräfte betrieben werden? Eine Möglichkeit wäre es, dass die muttersprachliche Förderung im Rahmen des Ganztagsunterrichts als Arbeitsgemeinschaft stattfindet, wobei auch die Soziale Arbeit mitwirken könnte. In diesem Fall könnten auch Studierende, Ehrenamtliche, pädagogische Kräfte oder engagierte Eltern die Kursleitung übernehmen. Ein solcher Unterricht könnte auch klassenbergreifend stattfinden, sodass größere Lerngruppen zustande kommen.
Natürlich sollten diese Kurse so offen gestaltet sein, dass auch autochthone Kinder an ihnen teilnehmen können, um ihren Interessen nachgehen zu können. Eine solche Veränderung im Schulsystem zielt darauf ab, die Kompetenzen von allochthonen Schülern zu stärken und eine Offenheit des Schulsystems gegenüber Heterogenität und Multikulturalität zu zeigen. Vergleichbare Bewegungen wären im deutschen (defizitorientierten) Schulsystem sehr zu begrüßen, da dadurch symbolisiert wird, dass sich kulturelle Vielfalt auf die Gesellschaft insgesamt bereichernd auswirkt.
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